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Kognitive Therapie

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Schematisch ablaufende, dysfunktionale kognitive Prozesse treten bei vielen psychischen Störungen auf, hervorstechendes Merkmal sind sie bei depressiven Verstimmungen. Sie beginnen in kürzeren oder längeren Zeitabständen nach bestimmmten auslösenden Ereignissen, machen sich in beinahe stereotyp ablaufenden inneren Texten ("automatischen Gedanken") oder Bilderfolgen bemerkbar und bevölkern das Bewusstsein oder überfallen es lawinenartig. Sich vielfach wiederholend bilden sie als "mentalen Gewohnheiten" die hartnäckigen Widersacher von kreativen Prozessen, die zum Lösen menschlicher Probleme gebraucht werden. Die schematisch ablaufenden Kognitionen bilden oft einen gedanklich - emotionalen Teufelskreis, aus dem schwer zu entrinnen ist, weil er sich in seinem Ablauf immer wieder selbst bestätigt. Infolge solcher automatischer innerer Teufelskreise entstehen negative Perspektiven:
- eine negative Selbstbeurteilung: man kann nichts, taugt nichts, macht alles falsch usw.
- eine negative Weltsicht: es ist immer schwierig, kaum zu schaffen, unüberwindliche Hindernisse türmen sich auf usw.
- eine negative Zukunftssicht: es geht immer so weiter, wird nie besser, wird sich wiederholen, bleibt ewig das gleiche usw.
Das in diesem Zustand leise oder laut auftretenden "automatischen Gedanken" enthalten auffällige Verzerrungen. Man macht Alles- oder- Nichts- Pauschalisierungen und übertriebene Verallgemeinerungen einzelner Erfahrungen. Man greift ein einziges negatives Detail aus einer ganzen Kette von Erlebnissen heraus und wälzt es ausgiebig aus. Positive Gegenbeispiele werden als nicht bedeutsam abgelehnt. Negative Schlussfolgerungen werden felsenfest behauptet, obwohl sie oft nur auf einem negativen Erlebnis aus einer Reihe von Erlebnissen beruhen, und für die Zukunft werden überwiegend negative Entwicklungen prognostiziert. Über- und Untertreibungen erfolgen typischerweise so, dass den Handlungen und Äußerungen von anderen ein riesiges Gewicht beigelegt wird, den eigenen hingegen fast keines. Und man nimmt an, dass die eigenen negativen Gefühle totsicher das ausdrücken, was auch die anderen gedacht und gefühlt haben. Gleichzeitig steigt der Druck der Forderungen im eigenen Kopf, die mit einem "du musst" oder "du sollst" beginnen und eine destruktive innere Kritikerin bzw. ein innerer Kritiker wird laut. Man wird überempfindlich für Reaktionen und Äußerungen anderer Menschen, die man als persönlich gemeint und negativ gegen sich selbst gerichtet sieht, obwohl sie, nüchtern betrachtet, in einem anderen Zusammenhang stehen oder zufällig sind.
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Ein Beispiel: Tanja O., 34 J., Singlefrau. Seit zwei Jahren wohnt sie allein in ihrer Wohnung. Mit dem Alleisein in der Wohnung kommt sie nicht zurecht. Am Arbeitsplatz nimmt in letzter Zeit der Ärger zu, die Anforderungen steigen, die Stimmung unter den Kollegen und Kolleginnen wird gereizter, der Chef reagiert mürrisch. Morgens fährt sie unlustig und antriebslos in die Firma, abends ist sie heilfroh, wenn sie wieder raus kommt, doch nur, um sich dann in der Wohnung zu vergraben, in der sie eigentlich nicht sein will. Ihr Selbstvertrauen nimmt ab und immer öfters fühlt sie sich überfordert. Wenn sie sich zu Hause entspannen will, werden die automatischen Gedanken in ihrem Kopf virulent. Tagsüber sind sie bereits leise innerlich abgelaufen, aber in der Stille der abendlichen Wohnung, wird es im Inneren ihres Kopfes so richtig laut: "Es wird immer schlimmer ... jeden Tag schlimmer ... ich schaffe ich es nicht ... es geht immer so weiter ... es wird nie besser. Egal, was ich mache, ich komme da nicht raus ... ich fühle mich total unfähig ... alle anderen könne das, nur ich kann es nicht ... ich habe immer schon versagt ... und ich bin auch noch selber Schuld daran! Ich kriege keine Beziehung hin ... und in der Arbeit kriege ich es auch nicht hin!" Die Gedankenmühle dreht sich und Tanja kann sie nicht mehr stoppen, im Gegenteil, wie durch eine geöffnete Schleuse überfallen schlechte Erinnerungen ihr Bewusstsein und es kommt ihr vor, dass ihre Vergangenheit überhaupt nicht vorbei sei, sondern sie gerade eben wieder mal beherrsche. In diesem Zustand laufen alle ihre Erinnerungen nach dem gleichen Muster schematisch ab. Tanja ist sich jedoch dieses Musters nicht bewusst. Sie nimmt die darin enthaltenen "Verzerrungen" für bare Münze. Da sie die damit einhergehenden Gefühle intensiv erlebt, meint sie, dass ihre dunklen Gedanken auch richtig sein müssten, was ihre Stimmung noch weiter verschlechtert.
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Kognitive Therapien sind in den letzten 20 Jahren zu wichtigen Behandlungsmethoden für ein weites Spektrum psychischer Probleme geworden. Ihre Wirksamkeit ist durch eine Vielzahl wissenschaftlicher Befunde belegt. Ihre Entwicklung geht auf Therapeuten und Forscher wie Aaron T. Beck (Kognitive Therapie der Depression), Albert Ellis (Rational Emotive Therapie), Arnold Lazarus (Multimodale Therapie) und Donald Meichenbaum (Stressimpfungstraining) zurück. Obwohl im einzelnen verschieden, haben sie einen gemeinsamen Grundansatz: Es sind nicht die Ereignisse selbst, die die Störungen hervorrufen und aufrechterhalten, sondern die Bedeutungen und Interpretationen, die diesen Ereignissen beigelegt werden. Ellis zitiert gerne den Satz des stoischen Philosophen Epiktet (ca. 50 - ca. 125): "Die Menschen werden nicht durch die Dinge als solche beunruhigt, sondern durch die Meinungen, die sie davon haben." Indes sollte man weder die philosophische noch die psychologische Weisheit dieses Satzes überdehnen: Eine für das Leben unbrauchbare, dysfunktionale Sicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzeugt vermutlich nicht die schweren psychischen Probleme, könnte jedoch ein zentraler Beitrag zu ihrer Aufrechterhaltung sein. Die Entstehung psychischer Probleme hat ihre langen emotionalen Wurzeln in der individuellen Lebensgeschichte. Wenn jedoch die Probleme einmal angelaufen sind, lösen sie sich oftmals von der Entstehungsgrundlage ab und werden zu Selbstläufern. Und im Einsatz gegen diese Selbstläufer hat die Kognitive Therapie ihren Nutzen bewiesen.
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